Vom Ursprung der Welt

30.04.2013
Unlängst berichtete Jens auf seinem Blog von einer alten Szenarioidee, in der die Helden unwissentlich die Schlüsselrolle beim Ende ihres Universums spielen und schließlich ein neues erschaffen. Mich erinnerte dies an einen weit zurückliegenden Einfall, bei dem ich meine Spieler mit dem Anbeginn der Schöpfung konfrontieren wollte.


Einführung in einen Herzensbrecher
Wie in einem früheren Artikel zum Rollenspielkarneval bereits ausführlich beschrieben, hegte ich Ende des letzten Jahrhunderts einmal die Idee für ein System, das alle Wesenheiten der Fantasy in einem Regelgerüst abbilden sollte. Um diesen anspruchsvollen - und letztlich aufgegebenen - Spagat zwischen Sterblichen, Elementaren, Astralen und Allmächtigen meiner Runde nach Vollendung schmackhaft zu machen, war meine Überlegung, einen Spielabend zu leiten, der zum Zeitpunkt der Schöpfung des dazugehörigen Kosmos und der Abgrenzung der vier Wesenheiten stattfindet.

Die Spieler sollten sich schlicht auf der frisch erschaffenen, noch rohen und urwüchsigen Welt wiederfinden, und erst diverse Herausforderungen würden sie im Spielverlauf vor die Wahl stellen, welche Aspekte der Schöpfung - eben abgebildet durch die Regeln - sie gut beherrschen wollen. Im Idealfall hätte sich am Ende der Sitzung jeder Spieler seine wahre Form inklusive Spielwerten gefunden und eines der vier Wesenheiten dargestellt.

Da das System dazu nie vollendet wurde, habe ich mir aber nie richtige Gedanken gemacht, welche Widrigkeiten den Spielern dabei entgegengetreten wären.


Herausforderungen während der Erschaffung der Welt
Dabei geben doch schon die diversen Schöpfungsmythen der irdischen Kulturen einen umfangreichen Fundus für Aufgaben ab, mit denen man Spieler in einem solchen Szenario konfrontieren kann. Dabei muss der Schwerpunkt gar nicht einmal auf kleinteiliger Definition der zu schaffenden Welt liegen - viel spannender ist doch weiterhin die Frage, welchen Platz und Verantwortung jede Figur in der Schöpfung übernehmen kann und will.

  • Was ist der Grundstoff, aus dem die Welt entstehen soll? Wie einfach lässt er sich von den Charakteren formen; und gibt es in ihrem Schaffensdrang irgendwelche Grenzen?
  • Liegt der Ursprung der Welt vielleicht in den Charakteren selber, so dass einer von ihnen mehr oder weniger freiwillig sein Leben dafür geben muss, wie schon der Riese Ymir in der Völuspá?
  • Oder ist der Urstoff bereits in diverse Teile und Aspekte geformt, den die Figuren nach ihren Vorstellungen zu einem Ganzen zusammensetzen müssen? So kannten schon die alten Ägypter den Kult von Ptah dem Baumeister.
  • Nach welchen Maßstäben erschaffen die Charaktere Flora, Fauna und vernunftbegabte Wesen? Gibt es vielleicht eine Metamorphose ihrer selbst in diese "niederen" Kreaturen?
  • Gibt es andere Wesenheiten, die ihnen die Schöpfung streitig machen, so dass ein Krieg ähnlich der griechischen Titanomachie entbrennt? Besteht der Konflikt vielleicht mit den personifizierten Kräften des Chaos selbst, ähnlich dem Snarl aus dem Webcomic The Order of the Stick?
  • Welche Verantwortung haben die Charaktere schlussendlich für das, was sie geschaffen haben, und wie wollen sie es umsorgen?
  • Welchen Platz haben die geschaffenen Wesenheiten im Gesamtbild des Kosmos - und wollen sie diese Rolle akzeptieren oder doch gegen ihre Schöpfer aufbegehren? Wäre es nicht genau so interessant, die Sitzung als die Urväter der frisch geschaffenen Völker zu beginnen und nicht als ihre Schöpfer?
  
Womit soll man das spielen?
Es verbleibt die Frage, mit welchen Systemen man diese Idee umsetzen könnte. Der Kern soll ja die Charaktererschaffung während der Spielsetzung sein, so böte sich entweder ein Baukastensystem an oder aussagekräftige Schlagworte; eingefasst durch abstrakte Werte, um die Grenzen aufzuzeigen.

  • Fate: Aufgrund der umkomplizierten Definierung durch Aspekte können die Kräfte der Charaktere zügig im Spielverlauf definiert werden, gerne auch mit mehr als den standardmässigen 20 Fertigkeitspunkten.
  • Risus: Klischees eignen sich perfekt für die Kreation eines Schöpfungsmythos; und auch hier darf die Gesamtzahl der verfügbaren Würfel gern erhöht werden.
  • In Nomine (Steve Jackson Games): Zugegeben kein schlankes System, aber die thematisch passende Aufteilung der Schöpfung (und Attribute) in Corporeal, Celestial und Ethereal könnte eine gute Grundlage darstellen, wenn auch aufwändige Anpassung nötig wären.
  • Primetime Adventures: Auch die narrativen Traits könnten schöpferische Fähigkeiten und Ideale gut abbilden. Und vielleicht wäre die Erschaffung der Welt auch ein netter Hintergrund für eine ganze Serie.
  • Aria - Canticle of the Monomyth: Zwar dient dieses ungeheuer komplexe System explizit zur Erschaffung von Welten und Kulturen, würde aber den Fokus einer Spielsitzung zu sehr zu kleinteiliger Buchhaltung verzerren.


Und noch viel weiter
Muss das Spiel dann nach einer Schöpfungssitzung enden? Auch das anschließende Potential ist groß: Wie entwickelt sich die Welt weiter? Werden die Ideale und Werte seiner Erschaffer erhalten, oder werden sie durch die kommenden Generationen pervertiert oder schlicht vergessen? Vielleicht greift man auch wie die Götter der griechischen Antike weiter aktiv in die Gestaltung der Welt ein, um den eigenen Willen durchzusetzen.
Oder aber man nimmt die erschaffene Welt als Grundlage für das Bespielen mit Normalsterblichen, die nun ihren Platz in einer Schöpfung finden müssen, so dass die Spieler die Konsequenzen ihrer anfänglichen Entscheidungen erleben.



Dieser Artikel ist Teil des Karnevals der Rollenspielblogs im April 2013 über das ominöse Thema "Im Mutterleib". Die Moderation liegt bei blut_und_glas von d6ideas, alle Beiträge des Monats werden zudem in diesem Thread des Forums der Rollenspielblogs aufgelistet.


Bildnachweis
Anker Eli Petersen/Postverk Føroya: "The First Human Beings", Briefmarke 2003, Public Domain

3 Kommentare:

Roger hat gesagt…

Mein Hirn sprudelt gerade über vor Ideen. Danke für diesen Beitrag!

blut_und_glas hat gesagt…

Bei der Aufzählung der Systeme hast du das gute alte Pantheon unterschlagen! - Das ist immerhin quasi für so etwas gemacht. ;)

Klaus hat gesagt…

Das kenne ich nicht! Erzähl mir bitte mehr!

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