Gesinnungen versus Charakterzüge

16.02.2016
Obwohl in den letzten Editionen zunehmend verwässert, so werden Gesinnungen immer noch als ein zentraler Bestandteil von DnD wahrgenommen. Gerade die Achse von Gut und Böse sorgt dabei immer für Diskussionen, weil sie eine direkte ethische Bewertung impliziert. Tugenden und Charakterzüge können aber auch auf andere Weise mechanisch geschickt abgebildet werden, wie ein anderes Vorbild zeigt.


Gut und Böse im Auge des Betrachters
Bleiben wir aber zunächst noch bei DnD. Bis zur Dritten Edition ordnete dieses die Gesinnung eines Charakters auf zwei Achsen ein: Gut/Böse und Rechtschaffen/Chaotisch, beide mit Neutral als Mittelwert. Auch Erläuterungen wurden dafür bereitgestellt: Altruismus und der Schutz Schwacher vs. Ausbeutung und Verletzung anderer, sowie Ehre und Tradition vs. Individueller Freiheit. Gerade die erste Achse erachte ich als Problem, da sie es sich mit der Bewertung von Tugenden und rechtem, ehrenhaftem Verhalten zu einfach macht.

Waren etwa die Azteken böse, deren Menschenopfer doch nur dem lauteren Zweck dienten, den Lauf der Sonne und den Fortbestand der Welt zu sichern? Ist die indische Gesellschaft böse, weil sie einzelne soziale Gruppen mehr oder weniger strikt nach den einzig durch die Geburt bestimmten Kasten aufteilt? War das Deutsche Reich bis zum November 1918 böse, weil es vor diesem Zeitpunkt den Frauen strikt das Wahlrecht verwehrte?

Ich denke, dass diese rasche Beurteilung zu kurz greift. Zu sehr sind solche, aus unser modernen, westlich-freiheitlich geprägten Sicht anstößigen Verhaltensweisen mit der gesamten Kultur verknüpft, der sie entsprangen; in keinem der oben genannten Beispiele wird die entsprechende Gesellschaft ihr Tun als unrecht empfunden haben. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass auch bei Gesinnungen im Rollenspiel eine pauschale ethische Wertung in ein schlichtes Gut/Böse unzureichend ist. Und das bringt uns zu einem Klassiker des Rollenspiels, in dem gegensätzliche Charakterzüge abseits einer generellen Bewertung eine zentrale Funktion übernehmen: Pendragon.


Pendragon und die Tugenden der Ritterlichkeit
Dieses Rollenspiel aus der Feder von Greg Stafford lässt die Spieler in die Rolle von Rittern der Artussage schlüpfen. Zuerst erschien es im Jahr 1985 und wird derzeit in Edition 5.1 von Nocturnal Media herausgegeben. Neben vielen regeltechnischen Anleihen aus dem Basic Role-Playing (BRP) wartet Pendragon mit einem einzigartigen System auf, um die vielschichtigen Motivationen der Figuren abzubilden.

Die Charakterzüge eines Ritters werden mit gegensätzlichen Merkmalen abgebildet. Dreizehn solcher Paare sind vorhanden, wie etwa Keusch/Lüstern, Großzügig/Selbstsüchtig oder Ehrenhaft/Feige - ethisch wertend sind diese Paare allerdings nicht. Im Gegenteil: Zur Zeit König Arthurs hatte das Christentum die alten heidnischen Religionen noch nicht vollständig verdrängt, und so sind durchaus Ritter vorstellbar, für die ein wollüstiges, fruchtbares Verhalten eine Tugend darstellt. Da die Summe je Paar grundsätzlich 20 nicht übersteigen darf, kann ein Charakter mitunter sehr stark in die eine oder andere Richtung tendieren, und wird die Eigenschaft bei einer Probe unterwürfelt, so handelt der Charakter auch zwingend danach.

Diese Abstraktion auf numerische Werte ermöglicht aber noch weitere Mechanismen, um Restriktionen und Bedingungen abzubilden.


Rechtschaffen ist vielleicht nicht rechtschaffen genug
DnD mag das Konzept der Gesinnungen zwar ins Rollenspiel eingeführt haben, über die vergangenen Editionen wurde dieses Konzept und die daraus resultierenden Restriktionen zunehmend verwässert. Hier erhält vielleicht ein Kleriker abhängig von seiner Domäne Zusatzsprüche erhalten, da setzen gewisse magische Gegenstände eine bestimmte Gesinnung voraus. Genau diese Voraussetzungen lassen sich aber durch die numerische Abbildung der Charakterzüge wesentlich effektiver und interessanter umsetzen:

  • Ähnlich den Attributen erhalten Kleriker ab einem gewissen Schwellenwert bei einem Charakterzug Bonussprüche
  • Gegenstände erfordern einen Mindestwert in einem Charakterzug
  • Gegenstände verleihen einen zusätzlichen Bonus für einen besonders ausgeprägten Charakterzug
  • Organisationen und Gesellschaften verlangen von neuen Mitgliedern einen Mindestwert in einem Charakterzug.
  • Der Wert eines Charakterzugs kann als Mindestwurf oder Erleichterung für Zaubersprüche zum Identifizieren oder der Wahrnehmung dienen.
Da zumindest die Mechanismen von Pendragon bei den so erforderlichen außerordentlichen Werten auch durch Proben erzwingen, dass sich ein Charakter gemäß eines Wesenszugs verhält, werden diese Eigenschaften auch zu mehr als bloßem Lippenbekenntnis. Noch interessanter wird es aber, wenn man auf die gegensätzlichen Paarungen der Wesenszüge DnDs Konzept der Neutralität anwendet. So könnte jeder Punkt Differenz, ob direkt oder nach Schwellenwerten, als Malus für Proben oder andere Würfe zum Einsatz kommen, denn schließlich ist der Charakter mit sich selbst nicht im Reinen und somit in seinem Potential eingeschränkt.

Ob nun aber wirklich DnD – gerade nachdem es in der aktuellen 5. Edition die regeltechnische Bedeutung der Gesinnungen weiter abgeschwächt hat – der geeignete Kandidat für eine derartige Umsetzung und Regelerweiterung ist, steht auf einem anderen Blatt – vielleicht greift man doch besser gleich zum Original.



Dieser Artikel ist ein Beitrag zum Karneval der Rollenspielblogs im Februar 2016 mit dem Thema „Gesinnungen“. Die Moderation liegt bei Neue Abenteuer, alle Beiträge des Monats werden zudem in diesem Thread des Forums der Rollenspielblogs aufgelistet.

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