Bartle und Brettspiele: Motivation und Mechanismen

22.07.2016
Der durchschlagende Erfolg des Handyspiels Pokémon Go, der seit der vergangenen Woche die westliche Welt überrollt, lässt mich verständnislos mit dem Kopf schütteln. Nicht etwa wegen des Hypes oder der vermeintlichen Stumpfsinnigkeit des Monstersammelns, sondern weil dieser Titel nach meiner Auffassung gar kein richtiges Spiel ist.

Das scheint aber die Millionen Pokémon-Jäger da draußen nicht zu stören, und somit habe ich mich gefragt, welche Elemente denn genau diese ungeheure Motivation ausmachen und wie man diese auf Brettspiele übertragen könnte. Eine erste Suche hat mir sogar aufgezeigt, dass es hierzu bereits eifrig diskutierte Modelle gibt.


Erste Überlegungen
Da der Anreiz von Pokémon Go und dem, was ich überhaupt erst als Spiel betrachte, soweit auseinandergeht, zerbrach ich mir zunächst eine Weile den Kopf, was denn genau die Ziele dieser Aktivitäten sind, die den einzelnen antreiben. Meine Definition von Spiel erwartet ein klares Ziel, eine Siegbedingung, nach deren Erreichen die Partie beendet ist und ein Gewinner feststeht. Motivation #1 also: Erfüllen der Siegbedingung.

Dies kann von Natur aus bei Pokémon Go nicht greifen: Auch wenn es hier Duelle mit einem klaren Gewinner gibt, so ist das Gesamtspiel doch auf theoretisch endlose Aktivität ohne ein klar definiertes Ende ausgelegt. Die Hauptmotivation liegt stattdessen im kontinuierlichen Sammeln und Verbessern der eigenen Spielwerte und -errungenschaften. Motivation #2 also: Sammeln/Verbessern.

Dann gibt es natürlich noch diverse Spielarten, sei es analog oder digital, bei denen das Erleben einer Geschichte im Vordergrund steht. Motivation #3 also: Eine gute Geschichte.

Das soziale Element des Beisammensitzens schwirrte mir zwar ebenfalls im Hinterkopf herum, dieses sah ich aber zunächst nicht als eigenen Motivator, da er ja allen Brettspielen zugrunde liegt – eine voreilige Fehlannahme, wie sich noch herausstellen soll.


Der Bartle-Test – ein Modell für Onlinespiele
Bei einer ersten Netzrecherche, ob meine Überlegungen Hand und Fuß haben könnten und somit vielleicht schon andere auf diese Idee gekommen sind, stieß ich schnell auf den sogenannten Bartle-Test. Dieser wurde bereits 1996 von Richard Bartle formuliert und dient dazu, Spieler in Onlinespielen nach ihren bevorzugten Handlungen zu klassifizieren. Bartle beschreibt die folgenden vier Ausprägungen:

„Achiever“ möchten viel erreichen, sei es durch Stufenanstiege, Sammeln von Gegenständen, Punkte oder Ranglisten.
„Explorer“ möchten das Spiel erkunden und möglichst viel entdecken.
„Socialiser“ möchten den Kontakt und die Interaktion mit ihren Mitspielern.
„Killer“ möchten im Wettbewerb und Konflikt mit seinen Mitspielern messen und gewinnen.



Selbstverständlich ist kein Spieler nur strikt einem Typus zuzuordnen, auch wurden inzwischen die Beschränkungen dieses Modells aufgezeigt - insbesondere, dass dieses eigentlich nur für MMOs funktionieren würde. Dennoch halte ich die Klassifizierungen für einen interessanten Ansatz, auch die primären Motivationsfaktoren von Brettspielen zu erkunden – sehe ich doch Parallelen meiner ersten Überlegungen der „Siegbedingung“ zum „Killer“, des „Sammelns“ zum „Achiever“ und der „Geschichte“ zum „Explorer“. Auch zeigt sich, dass ich wohl mit meinem Ignorieren der sozialen Komponente als Motivationsmittelpunkt falsch gelegen haben könnte.

Allerdings denke ich auch, dass beim Übergang von Onlinespielen – dabei insbesondere MMOs – zu Brettspielen ein Caveat angebracht ist.


These: Tabletop kann nicht alles abdecken
Computerspiele, gerade solche mit der offenen Vielfalt eines MMOs, haben genug Freiraum und Kapazität, um die von Bartle definierten Motivationsfaktoren einzubauen. Im Brettspiel jedoch müssen die Spieler zwangsweise sämtliche Elemente selbst händisch verwalten, und jedes hinzukommende Komponente bedeutet zusätzlichen Aufwand, der das Endprodukt schließlich unspielbar machen kann. Auch wenn natürlich gerade ältere Cosims amerikanischer Verlage derartige Buchhaltung nicht scheuen, so würde ein solches Spielerlebnis heute den Großteil der potentiellen Kundschaft abschrecken. Somit können Brettspiele nicht alle vier Spielertypen laut Bartle auf einmal ansprechen, obwohl Überschneidungen natürlich möglich sind.


Mechanismen und Kategorien zu den Spielertypen
Wie könnte eine Zuordnung nun aber aussehen? Wie schon oben erwähnt sind die Übergänge fließend, aber gibt es in meinen Augen bestimmte Spielgenres und –mechanismen, die die jeweiligen Spielertypen ansprechen sollten. Zur Orientierung hilft hier unter anderem die Einordnung von Kategorien und Mechanismen laut BoardGameGeek, auch wenn diese einige hier diskutierte Elemente auslässt.

Achiever

Für den Macher geht es vor allem darum, etwas erschaffen zu haben. Auch er das Spiel nicht gewonnen hat, so ist dennoch am Ende der Partie eine erkennbare Leistung vorhanden. Spiele, bei denen der Aufbau eine wichtige Rolle spielt, sollten besonders interessant sein.
Kategorien/Thema: City Building , Civilization.
Mechanismen: Deck/Pool Building, Engine Building, Route/Network Building, Variable Player Powers
Beispiele: Im Wandel der Zeiten, 7 Wonders, Race for the Galaxy

Explorer
Um das Spiel während der Partie zu erforschen, könnten Elemente interessant sein, die das Spiel oder dessen Aufbau bei jeder Partie neu gestalten. Zudem gibt es noch eine ganze Kategorie von Spielen, bei denen das Erforschen und Aufdecken, das Aufbauen oder das Erleben im Mittelpunkt steht. Auch Erweiterungen zum Grundspiel, die neue Elemente zum Entdecken bieten, könnte man mit viel Wohlwollen als passend einordnen.
Kategorien/Themen: Adventure, Exploration, Space Exploration (4X), Expansion to Base Game
Mechanismen: Modular Board, Tile Placement
Beispiele: Mage Knight, Descent, Tikal

Socializer
Hier stehen das Miteinander und die Interaktion im Vordergrund. Viele klassische Partyspiele erfüllen diese Anforderung, aber auch das Zusammenspiel bei kooperativen Spielen kann diesen Anspruch erfüllen.
Kategorien/Themen: Bluffing, Negotiation, Party Game
Mechanismen: Auction/Bidding, Co-Operative Play, Trading, Voting
Beispiele: Der Widerstand, Codenames, Pandemie

Killer
Dieser Spieler möchte sich mit anderen messen und gewinnen. Gerade die klassischen Wargames und CoSims erfüllen diesen Zweck, aber auch Spiele, bei denen man gnadenlos aus der Partie fliegen kann.
Kategorien/Themen: Wargames/CoSims
Mechanismen: Take That, Player Elimination
Beispiele: Twilight Struggle, Star Wars: Imperial Assault, Chaos in der Alten Welt



Überschneidungen
So wie kein Spieler nur einer Kategorie zuzuordnen ist, so gibt es auch etliche Spiele, die mehrere Typen ansprechen sollten. Auch hierfür gibt es bekannte Beispiele.

Achiever-Socializer: In Catan (dem man inzwischen die Siedler im Namen genommen hat) baut man sowohl seine eigenen Handelsstraßen und Dörfer aus, dazu kommt aber das freie Verhandeln und Schachern mit den Mitspielern um Rohstoffe. Gerade letzteres halte ich maßgeblich für Catans langanhaltenden Erfolg.

Achiever-Killer: In Munchkin baut man seine Figur mit Stufen und bizarrer Ausrüstung langsam zur unbesiegbaren Kampfmaschine auf – wenn da nicht diese gemeinen Karten wären, mit denen die Mitspieler über einen herfallen.

Explorer-Socializer: In T.I.M.E Stories entdecken die Spieler gemeinsam das Geheimnis eines Falles in der Geschichte.

Socializer-Killer:
In Diplomacy werden die Aktionen der Spieler über freie Absprachen unter den Spielern ausgehandelt, was dann aber den eigenen Truppen im Geheimen wirklich befohlen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt.


Wenn du lange in ein Spiel blickst, blickt das Spiel auch in Dich hinein
Welchen Nutzen soll man aus diesen Kategorien und Überschneidungen nun ziehen? Vielleicht ist es bei den eigenen Entwicklungen eine gute Orientierung (und nicht mehr als das), um sich darüber klar zu werden, wo denn eigentlich der Anreiz des letztlichen Spielerlebnisses sein soll. Und auch wenn man sich darüber klar geworden ist und ermittelt hat, welche Mechanismen des eigenen Machwerks dieses Ziel fördern, so ist Spielspaß doch am Ende nur eines: ein Bauchgefühl.

Und wo sehe ich mich nun eigentlich selbst? Gewinnen war für mich schon immer eine Nebensache und höchstens ein netter Bonus. Ich mag es hingegen sehr, wenn sich im Spielverlauf etwas entwickelt, wenn ich mich verbessere und neue Optionen erhalte, oder wenn sich der Spielplan mir erst nach und nach offenbart. Nach meiner eigenen Interpretation falle ich wohl klar in die Kategorien Achiever/Explorer.

Vielleicht erklärt das auch, warum mir bei meinen eigenen Spielideen so wichtig ist, dass die Spieler etwas aufbauen und ihre Handlungsmöglichkeiten verbessern können. Man schreibt eben die Art von Spiel, die man auch selbst spielen möchte – was für eine Erkenntnis.


Bildquelle
Tutsplus: Bartle Diagram

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