[Interview] Swen Harder über die Entstehung des Spielbuchs Metal Heroes

05.10.2016
Swen Harder hat sich unter Liebhabern von Spielbüchern einen Namen gemacht mit zwei der besten Titel, die derzeit dank des Mantikore-Verlags auf dem Markt sind. Beeindruckte schon sein Debüt Reiter der Schwarzen Sonne, so hat er zur RPC 2016 mit Metal Heroes and the Fate of Rock einen fulminanten Nachfolger hingelegt. Da interessiert mich natürlich, wie so ein Mammutwerkt zustande gekommmen ist. Freundlicherweise war Swen sofort bereit, mir zu dessen Entstehung Rede und Antwort zu stehen.


Zweimal Daumen Hoch
Wer hingegen mit den Titeln von Swens Publikationen nichts anfangen kann, der hat Glück. Für die Teilzeithelden habe ich sowohl Reiter der Schwarzen Sonne als auch Metal Heroes and the Fate of Rock ausführlich besprochen - und konnte (wer hätte es gedacht!) nicht umhin, beiden einen dicken Daumen nach oben zu vergeben.



Nun aber genug des Vorgeplänkels, hier sind Swens detaillierte Antworten auf meine Fragen.


1) Laut Deinem Lebenslauf hast Du langjährige Erfahrung mit Videospielen, zunächst als Redakteur, später als Tester. Warum hast Du Dich für Deine eigenen Ideen ausgerechnet für die Nischenform Abenteuerspielbuch entschieden?

"Ich wollte seit meiner Jugend schon immer ein Spielbuch schreiben. Das habe ich Ende 2012 mit Reiter der schwarzen Sonne schließlich geschafft. Eine Veröffentlichung hatte ich weder eingeplant noch daran geglaubt. Es war schlicht und ergreifend Zufall, dass der Mantikore-Verlag just zu dieser Zeit alte Spielbücher, wie die Einsamer-Wolf-Serie in Deutschland auf den Markt brachte und ich so offene Türen einrannte.


Als Reiter der schwarzen Sonne schließlich so erfolgreich wurde, war natürlich die Motivation da, mit Metal Heroes – and the Fate of Rock nachzulegen."




2) Hast Du aus Deinem Videospiel-Hintergrund irgendwelche Lehren für analoges Spieldesign ziehen können?

"Auf jeden Fall! Ein gutes Videospiel steht und fällt mit seinem Zugang für die User, sprich in erster Linie müssen Steuerung und Spielmechanismen sofort zugänglich, verständlich oder zumindest leicht zu erlernen sein. Das unterscheidet gute von hervorragenden Spielen. Technische Aspekte sind dabei oft nur das Sahnehäubchen oder im negativen Sinne Augenwischerei.

Ich lege also bei meinen Entwicklungen stets großen Wert auf die Zugänglichkeit. Bei mir sollen sich also Genre-Einsteiger gut aufgehoben fühlen – ohne dabei Kenner zu vernachlässigen. Aus meiner Sicht ist dieser Spagat die eigentliche Herausforderung bei der Entwicklung."


3) Gab es schon einmal Momente, in denen Du Dich in zu komplexen Regeln verrannt hast und zurückrudern musstest?

"Tatsächlich passiert dies regelmäßig und ist von mir sogar gewollt. Ich sammle Ideen, setze sie um, treibe sie auf die Spitze, sehe wie sie sich anfühlen und spielen lassen und bringe sie dann in Form. Es ist wie ein Busch im Park, den man erst sprießen und gedeihen lässt, um aus ihm dann eine schöne Form heraustrimmen zu können.

Als ich angefangen habe, dachte ich immer, sofort alles perfekt machen zu müssen, um Zeit zu sparen. Das war für mich jedoch total kontraproduktiv und versperrt einem oft den Weg zu den wirklich guten Ideenblüten, die sich vielleicht erst zeigen, wenn man erstmal alles wild wuchern lässt."


4) Durch seine fast alltägliche Geschichte über eine aufstrebende Band braucht Metal Heroes ganz andere Regelkonzepte als die üblichen Scharmützel-Mechanismen der Fantasy. Was waren zu Beginn der Arbeit die absoluten Pflichtelemente, die die Regeln würden abdecken müssen? Haben sich zu einem späteren Zeitpunkt andere Mechanismen als unumgänglich erwiesen, die Du zunächst gar nicht im Blick hattest?
"Das hast du gut beobachtet. In der Tat war es so, dass mir bei Metal Heroes die augenscheinliche Profanität der Geschichte arges Kopfzerbrechen bereitete. Oft dachte ich, das komplette Konzept sei zum Scheitern verurteilt, da man einfach nicht mit der klassischen Fanatsy-Keule „hinter jeder Tür lauert ein Ork, der dir die Rübe einschlagen will“ schwingen kann. Man muss sich also etwas auf der Regelseite überlegen, was den Leser bei Laune hält.

Als erstes „Pflichtelement“ wären die Inventarlisten für gesammelte Gegenstände zu nennen. Sie unterscheiden sich zu anderen Spielbüchern darin, dass man nicht an jeder Ecke etwas (Wertloses) findet, sondern die Items auch meistens gleich in einem Kapitel eingesetzt werden müssen. Ist dies nicht der Fall, werden sie wieder gestrichen. Hier spiegelt sich freilich auch der realistische Ansatz von Metal Heroes wider. Wer von uns hat schon einmal Kaffeepulver gefunden und sie Jahre später noch dabei?

Ein weiteres Pflichtelement sind die Werte der Charaktere. Es ist schlicht und ergreifend sehr hilfreich mit mehr oder weniger abstrakten Eigenschaftswerten die Unterschiede der Protagonisten darstellen zu können. Klar müssen diese rollenspieltypischen Werte auch zum Musik-Genre passen.
Auf der Hand liegt natürlich ebenso die Notwendigkeit von Songs. Was wäre eine Metal-Band ohne Songs? Daraus ergeben sich wieder weitere Elemente, wie Bandchemie (Zusammenhalt der Band), Fanbase (Erfolg der Band), usw.

Als letztes Element würde ich noch die „Sicherungen“ nennen wollen. Diese Idee ist erst während der Entwicklung entstanden. Sie kam mir, weil ich den Schwierigkeitsgrad möglichst fair halten wollte. Ich musste für den Fall einer „Fehlentscheidung“ des Lesers einen Mechanismus finden, der nicht sofort das Spielende bedeutet. Und das geflügelte Wort einer 'durchgebrannten Sicherung', dargestellt als drei Glassicherungen auf dem Charakterbogen, war das perfekte Bild. Eine dieser Ideen, die wie die Faust auf Auge passen und sich sofort toll anfühlen, wenn man sie hat.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Regeln fast schon organisch gewachsen sind und jedes Element seine Existenzberechtigung hat – so hoffe ich zumindest."


5) Haben sich während des Schreibens Regelelemente gezeigt, die schließlich doch unbrauchbar waren und entfernt werden mussten? Werden wir sie vielleicht aufpoliert in einer späteren Publikation wiedersehen?

"Ausschließen würde ich das niemals, erachte das aus heutiger Sicht aber für sehr unwahrscheinlich. Was hingegen sein kann, nach der Erfahrung und Feedback von hunderten Erstlesern, dass eventuell minimal an der einen oder anderen Stellschraube für den Schwierigkeitsgrad gedreht wird.

Zu deiner ersten Frage: Ganz zu Anfang gab es beispielsweise echte „Kampfregeln“, also für den Fall, sollten sich die harten Kerle schön auf die Fresse hauen wollen. Dieser Ansatz war jedoch total unnötig und unbrauchbar. Ergo, er wurde komplett gestrichen!

Am längsten musste ich tatsächlich an den Gig-Regeln feilen. Wie funktioniert ein Auftritt? Welche Einflüsse sind entscheidend, damit ein Konzert-Besucher begeistert nach Hause geht? Da fallen einem natürlich schnell viele Aspekte ein: Gespielte Songs, Performance der Musiker, Flair der Location, ... Alle Punkte allerdings unter einen Hut zu bekommen, dass das Ganze einerseits 'realistisch' erscheint und andererseits spielbar bleibt, war die größte Herausforderung bei der Entwicklung und wurde tatsächlich als letzter Regelkomplex finalisiert."


6) Das Spielbuch nutzt seinen Umfang gekonnt aus, indem Entscheidungen des Lesers erst etliche Kapitel später Auswirkungen haben. Wie detailliert planst Du diese Verzahnungen vor, oder kann ein plötzlicher Geistesblitz spontan ganze Erzählstrukturen umwälzen?

"Pauschal kann ich dir diese Frage nicht beantworten. Natürlich versucht man – aus reinem Selbsterhaltungstrieb heraus – so viele Ansätze wie möglich in petto zu haben, um schön planen zu können. Aber selbstverständlich drängen sich während des Schreibprozesses immer wieder coole Ideen in den Vordergrund. In einem solchen Moment muss man abwägen, ob sich eine Änderung des Konzepts für etwas Neues lohnt. Man muss nämlich wissen, dass ein Spielbuch und seine ihm eigene Struktur nicht gerade ein geeigneter Patient für Operationen am offenen Herzen sind. Kunstfehler sind da vorprogrammiert.

Nichtsdestotrotz sind genau diese Eingebungen während des Schreibens und ihre nachträgliche Umsetzung für mich das Salz in der Suppe. Wichtig ist nur, dass man Dinge, die man anfängt, in irgendeiner Weise zu Ende bringt. Abstrakt formuliert ist ein Spielbuch für mich wie eine mathematische Formel. Da sind verdammt viele Variablen drin – vieles davon versteht man nicht – doch entscheidend ist: Für jede sich öffnende Klammer (stellvertretend für einen eingeführten Gegenstand, Person oder Handlungsstrang) muss es ebenso eine schließende geben, sonst funktioniert die Formel nicht."


7) Metal Heroes wartet auch mit einigen grafischen Rätseln innerhalb der Illustrationen und dem Layout auf. Wie hast Du diese vorbereitet? Konnte dieses Element schon früh in der Entwicklung eingeplant werden, oder entstanden diese Rätsel erst in der Endphase? Und stammen vielleicht einige Ideen sogar von Illustrator Fufu Frauenwahl selbst?

"Mit Fufu arbeitete ich nach Reiter der schwarzen Sonne bereits zum zweiten Mal zusammen. Mittlerweile kennen wir uns recht gut. Wir wissen, wie wir gemeinsam Dinge anzupacken haben und sind in ständigem Kontakt.

So wurde das grafische Konzept gleich zu Beginn des Projekts erstellt und es war klar, dass es etliche grafische Herausforderungen in Metal Heroes geben soll. Letztendlich stammen die meisten Ideen von mir – doch wir diskutieren zunächst ihre Machbarkeit und arbeiten sie dann gemeinsam aus. Dabei versuche ich stets sowohl die Grenzen des Mediums Buch als auch des Lesers auszuloten und teilweise sogar zu überschreiten."



8) Die CD von Metal Heroes ist nicht nur stimmungsvolles Beiwerk, sondern hat auch Einfluss auf die Geschichte – so begegnet man immerhin namhaften Musikern, oder kann für die eigenen weitreichenden Spieloptionen ganze Genres freischalten. Hat hier der Verzug der CD-Produktion zu Platzhaltern oder Änderungen im Manuskript geführt?

"Sicher, durch die Verzahnung eines weiteren Mediums kommt es zwangsläufig zu Reibungsverlusten. Und das hatte ich bei der Entwicklung klar unterschätzt. Nachdem ich zu Beginn noch darauf wartete, dass es an der „Musikfront“ endlich weiterging und so unnötig Zeit und Energie verlor, habe ich mich irgendwann auf die Dinge konzentriert, die ich auch ohne den Soundtrack erledigen konnte.

Lange Zeit stand gar nicht fest, ob und wie sich eine solche Idee überhaupt umsetzen lässt.
Unterm Strich würde ich schätzen, hat der Soundtrack rund ein Jahr Entwicklungszeit gekostet – dennoch gut investiert, wie ich finde."



9) Metal Heroes beschreitet mit seinen Mechanismen für die Konzerte ganz neue Wege. Wo siehst Du noch Potential, das speziell vom Medium Spielbuch bisher nicht ausgereizt wurde?

"Bei meinem neuen Projekt, einer Mini-Spielbuchserie im feudalen Japan des 12. Jahrhunderts, werde ich versuchen ein vollkommen neues Kampfsystem zu präsentieren, das ohne Würfel auskommt. Du wirst allerdings verstehen, dass ich hier nicht auf Details eingehen kann.

Doch genau hier schlummert für mich das größte Potenzial: Spielbücher, aber selbst die große Schwester „Rollenspiel“ verlassen sich insbesondere bei Kämpfen zu sehr auf Wahrscheinlichkeiten. Es werden also meistens Würfel herangezogen, um das Geschehene abzubilden. Da muss es doch mehr geben, oder?"


10) Die berühmten letzten Worte: Was möchtest Du den Lesern dieses Interviews noch mit auf den Weg geben?

"Lieben Dank an alle da draußen, die meinen Worten bis hierhin gefolgt sind! Das beweist, dass ihr offensichtlich entweder ein großer Fan von Klaus‘ Blog seid und/oder ein ernsthaftes Interesse an Spielbüchern habt. Es würde mich freuen, sollte ich euch für eines meiner Werke interessiert haben. Vielleicht sieht man sich auf eine der üblichen großen Veranstaltungen, wie die RPC oder Spiel. Ich freue mich über jedes nette Gespräch – ebenso wie dieses hier."


Ich habe zu danken für Swens spontane Zusage zu diesem Interview und die ausgezeichneten Antworten. Ich hoffe, der Erkenntnisgewinn ist für andere genauso groß wie für mich. Wer von den Metal Heroes immer noch nicht genug kriegen kann, der findet weitere Einblicke auf der dazugehörigen Homepage metal-heroes.de.

Wer auf dieses Interview kurz nach der Veröffentlichung stösst, der mag vielleicht auch Swen persönlich einen Besuch abstatten, wenn er auf der Spiel 2016 am Stand des Mantikore-Verlags 2-A118 zugegen ist.


Bildquelle
Allesamt www.metal-heroes.de

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